Manch einer fragt sich vielleicht, wie es dazu kam, dass ich nach konstanten Top-20-Platzierungen im Weltcup und WM in den letzten zwei Jahren in der laufenden Saison derart ins Hintertreffen geraten bin, dass ich bei manchen Rennen sogar überrundet wurde. Die einfache Antwort lautet: Ich geriet ins Übertraining. Doch in diesem Text möchte ich erzählen, wie es dazu kam und wie mein Weg zurück zu voller Gesundheit und Fitness verlief.
Im Jahr 2022 machte ich einen großen Schritt nach vorn und konnte mich bei einigen Rennen zur erweiterten Weltspitze zählen. Natürlich war der Hunger groß, in der nächsten Saison einen weiteren Fortschritt zu machen. Obwohl meine Leistungen konstant auf einem respektablen Niveau blieben, blieb der erhoffte Leistungssprung aus. Mein damaliger Trainer war der festen Überzeugung, dass mehr und härteres Training diesen Sprung auslösen würde. Leider konnte er mich während des gesamten Winters auf die Saison 2024 immer wieder davon überzeugen, und so zog ich dieses Programm durch. Den ganzen Winter über fühlte ich mich nie wirklich gut, doch beim ersten Rennen der Saison in Gränichen wurde ich Zweiter. Dies nahm ich als Bestätigung, dass das Gefühl nicht immer die tatsächliche Leistung widerspiegelt.
Kurz darauf kamen die ersten Weltcups in Brasilien. Trotz des ordentlichen Saisonstarts reiste ich mit einem schlechten Gefühl an und wurde schliesslich bei beiden Rennen überrundet. Ich konnte einfach nicht «leiden». Es fühlte sich an, als wäre mein Motor gedrosselt. Es waren nicht meine Atmung oder die Beine, die mich limitierten – es war, als würde mein gesamtes System nicht mitspielen. Innerhalb kurzer Zeit nahm ich außerdem 3–4 Kilogramm zu. Bei erhöhter Müdigkeit sucht der Körper nach Schlaf und Nahrung; unter Stress will er zudem Reserven aufbauen.
Nach meiner Rückkehr ließ ich ärztliche Untersuchungen durchführen, die schließlich klarstellten, dass ich mich im Übertraining befand. Dies wurde durch das Ausschlussverfahren festgestellt, bei dem alle möglichen Krankheiten ausgeschlossen wurden, die zu solch einem Leistungsabfall führen könnten. Es ist wichtig, zwischen Übertraining und Überbelastung zu unterscheiden: Eine Phase der Überbelastung ist gewollt und soll nach einer Erholungsphase zu einem Leistungssprung führen. Beim Übertraining ist der Körper jedoch so lange in der Überbelastung, dass Prozesse im Körper derart gestört werden, die eine lange Erholung erforderlich machen.
Leider gibt es keinen eindeutigen Parameter, der anzeigt, ob man sich im Übertraining befindet oder wann man dieses überwunden hat. Auch die Erfahrungsberichte von Betroffenen sind sehr unterschiedlich. Als ich mich bei anderen Athleten, Fachleuten und meinem Arzt nach Ratschlägen für den Wiederaufbau erkundigte, erhielt ich teils völlig unterschiedliche Empfehlungen.
Nach Brasilien gönnte ich mir eine Woche komplette Trainingspause. Danach begann ich mit GA1-Training (Grundlagenausdauer 1). Bis Mitte Juli absolvierte ich nur zwei intensivere Einheiten neben den Wettkämpfen, um meinen Körper möglichst aus der «Stresszone» herauszuhalten. Mit der Überzeugung, dass man auch mit GA1-Training weit kommen kann, machte ich weiter, bis ich mich in den Wettkämpfen wieder normal fühlte. Bei der Schweizer Meisterschaft Anfang Juli hatte ich dieses Gefühl erstmals wieder. Danach nahm ich strukturiertes Training wieder auf – natürlich mit geringerem Umfang als zuvor. Die Siege in Langendorf (C2) und Muttenz (HC) zeigten mir, dass ich auf einem sehr guten Weg bin. Der große Test wird bei den Weltcups in den USA und Kanada kommen.
Die zwei größten Herausforderungen in dieser Phase waren, erstens, die richtige Balance zwischen der Erholung vom Übertraining und dem Erhalt einer gewissen Fitness für die Wettkämpfe zu finden. Insbesondere Entscheide zu fällen, wann ich wieder welche Intensitäten und welche Umfänge trainieren soll. Lange hatte ich noch die Hoffnung, die Qualifikation für mein Lieblingsrennen, die WM in Andorra, zu schaffen. Die zweite Herausforderung war, mental nicht zu sehr abzurutschen. Ich wollte nicht schlecht gelaunt durchs Leben gehen, ‘nur’ weil es sportlich nicht gut lief. Auch das Jus-Studium bot mir eine gewisse Stabilität und half mir, das Gefühl zu vermeiden, dass alles auseinanderfällt.
Einige Menschen in meinem Umfeld lernte ich von einer neuen Seite kennen – und in den allermeisten Fällen war dies positiv. Besonders schätze ich mein Team, das uns Athleten nicht nur als Leistungsträger, sondern auch als Menschen wahrnimmt.
Rückblickend würde ich die Rennen in Chur und Nove Mesto auslassen. Stattdessen hätte ich mir zwei Wochen komplett frei genommen und dann drei Wochen lang nur leichtes GA1-Training in geringem Umfang gemacht. Grundsätzlich bin ich jedoch zufrieden mit meinem Weg: Etwa zweieinhalb Monate brauchte ich, um wieder auf einem anständigen Niveau Rennen fahren zu können. In dieser Phase habe ich als Athlet und als Mensch viel gelernt. Mittlerweile bin ich zuversichtlich, dass ich als gestärkter Athlet zurückkomme.